„You’ll never watschel alone“
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Ein Freundschaftsspiel zwischen dem jüdischen Klub Makkabi und einem teils muslimischen Team aus Mainz kennt viele Gewinner
Ein Artikel aus der FAZ – Rhein-Main-Zeitung – vom 8. November 2017. Dank an Isabelle Bach (Text) und Marcus Kaufhold (Foto). Hier der Text:
Ronald Uhlich kramt in seiner Sporttasche. „Moment, ich hab’s gleich“, sagt er und hält wenig später eine kleine gelbe Gummiente in die Höhe. Die ist normalerweise eher etwas für die Badewanne als für den Rand eines Fußballfelds. Doch beim FC Ente Bagdad aus Mainz ist sowieso alles ein bisschen anders. In seinem Verein stünden Vielfalt, Toleranz und Offenheit an erster Stelle, sagt Präsident Uhlich. Die Mitglieder kommen von überallher, zurzeit spielen sieben Flüchtlinge aus Afghanistan und Syrien in der Herren-Mannschaft. Deshalb hat das Spiel am Montagabend starke Symbolkraft: Der FC Ente Bagdad spielt gegen die zweite Mannschaft des jüdischen Turn- und Sportvereins Makkabi Frankfurt.
Eröffnet wird das Spiel mit einer Schweigeminute. Einer der Mainzer Spieler ist vergangene Woche an Krebs gestorben. Es ist still auf dem erleuchteten Platz. Bis der Schiedsrichter die Pfeife zückt und das Spiel mit einem lauten Pfiff eröffnet. Los geht die Partie. An diesem Abend spielen Juden gegen Muslime. Doch ganz so simpel ist die Sache natürlich nicht.
Denn schon vor vielen Jahren hat sich Makkabi für Nichtjuden geöffnet. Jeder, der Sport machen will, kann Mitglied werden. Trainer Ariel Leibovici hat die zweite Fußballmannschaft gemeinsam mit Jonas Schnabel erst vor einem halben Jahr neu aufgebaut. Er habe überall nach Spielern gesucht, die Religion habe dabei keine Rolle gespielt, sagt er. Jedem Vereinsmitglied sei aber bewusst, dass es Israel in gewisser Weise repräsentiere. Immerhin tragen die Spieler einen Davidstern auf ihrem Trikot. Makkabi zwinge aber niemanden, zum Judentum zu konvertieren. Leibovici sagt: „Solange unsere Tradition akzeptiert wird, spielt die Religion keine Rolle.“
Der Anteil der Spieler mit jüdischem Hintergrund bestätigt die Aussage des Trainers. Am Montagabend sind gerade einmal fünf junge Männer auf dem Platz, die dem Judentum angehören. Ibrahim Öztas, Manager der zweiten Mannschaft, ist wohl das beste Beispiel dafür, dass Religion bei der Auswahl der Sportler kein Kriterium mehr ist. Er ist Muslim und spielt trotzdem mit Leidenschaft in der jüdischen Mannschaft. Über einen Bekannten kam er mit Makkabi in Kontakt, er ist schon seit fünf Jahren im Verein. Öztas kann sich nicht vorstellen, jemals wieder für ein anderes Team zu spielen. Einen so starken Zusammenhalt unter den Mitgliedern habe er noch nirgendwo sonst erlebt. „Einmal Makkabi, immer Makkabi“, sagt er. Seine Mitspieler lachen und nicken.
Ähnlich angetan ist der Belgier Edgar Ledür, der seit vier Jahren Mitglied des FC Ente Bagdad ist. Er hat lange nach einer Mannschaft gesucht, in der auf hohem Niveau Fußball gespielt wird, die aber nicht mindestens zweimal die Woche trainiert und an jedem Wochenende ein Spiel hat. Während eines französischen Stammtischs erzählte ihm jemand vom FC Ente Bagdad. Ledür ist begeistert: Jeden Samstag spielen die Vereinsmitglieder gegeneinander, ab und an gibt es ein Freundschaftsspiel. Der Spaß ist das Wichtigste, es gibt keine Verpflichtungen. Besonders schön sei das Miteinander der verschiedenen Nationen, sagt Ledür. „Es ist egal, ob du Klaus, Mohammad oder Pierre heißt, jeder ist willkommen.“ Das habe er auch beim Spiel am Montagabend gemerkt. Zuweilen sei zwar auf dem Platz diskutiert worden, aber das gehöre einfach zum Fußball dazu.
In der Halbzeitpause steht es 4:2 für Makkabi. Die Trainer tauschen Geschenke aus. Für Bagdad-Präsident Ronald Uhlich gibt es Manschettenknöpfe mit dem Vereinssymbol von Makkabi, Ariel Leibovici hält dafür lächelnd die gelbe Gummiente in den Händen. „Wie seid ihr eigentlich auf den Namen Ente Bagdad gekommen?“, fragt er. Ronald Uhlich hat die Geschichte schon oft erzählt. Doch er tut es immer wieder gerne. Kurz vor dem Abitur wollte er mit drei Freunden einen Fußballverein gründen, der sich von anderen unterscheidet. Sie wollten keine Verpflichtungen, sondern einfach nur Spaß haben. Aber vor allem wollten sie eins: märchenhaft Fußball spielen. Bagdad sei damals der Inbegriff für 1001 Nacht und alles Märchenhafte gewesen. Und eine Ente schaffe es stets, den Kopf über Wasser zu halten, erläutert er. Deshalb hätten sie sich für Ente Bagdad entschieden.
Das ist jetzt 44 Jahre her, doch der Verein hat momentan so viele Mitglieder wie nie. Das liegt auch daran, dass er mittlerweile viel mehr ist als nur ein Fußballklub. Vor drei Jahren haben Uhlich und andere ein Flüchtlingsprogramm ins Leben gerufen. Sie hätten sich nur einmal in Flüchtlingsheimen vorgestellt und kurz darauf viele neue Mitglieder gehabt, erinnert sich Uhlich. Frei nach ihrem Vereinsmotto: „You’ll never watschel alone“ organisieren sie regelmäßig gemeinsame Abendessen und Ausflüge, einmal im Jahr gibt es eine sogenannte Kulturkickreise in das Heimatland eines Spielers. Jüngst war die Mannschaft in Edgar Ledürs Heimatland Belgien zu Gast, 2005 aber auch schon einmal in Syrien.
Die Herren-Mannschaft von Ente Bagdad spielt nicht im dauernden Ligabetrieb. Darum ist ein Freundschaftsspiel wie das gegen Makkabi ein wichtiges Ereignis. Mit dem Spiel habe sein Verein in Zeiten eines aufkommenden Nationalismus ein Zeichen setzen wollen, sagt Uhlich. Nach dem Abpfiff steht es zwar 8:2 für Makkabi. Doch gewonnen hat die Völkerverständigung.
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