Gedenken, Forschen, Vermitteln

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Zur Geschichte der Gedenkstätte Hadamar

(Mainz – eig. Bericht) Das Thema des Vortrages von Frau Judith Sucher im Rahmen der „Mainzer Erinnerungswochen 2022“ lockte fast 40 wissbegierige Besucherinnen und Besucher in das zum Akademie- und Tagungszentrum „Erbacher Hof“ des Bistums Mainz gehörenden „Haus am Dom“. Viele von ihnen hatten bereits dem Vortrag von Renate Rosenau zur Ausstellungseröffnung am vergangenen Sonntagabend gelauscht, einige sind mittlerweile Stammgäste bei unseren Veranstaltungen.

Noch vor Beginn des Abends vertraute uns eine Besucherin an, dass sie Renate Rosenaus Vortrag noch lange beschäftigt habe und sie deshalb unbedingt diesen folgenden Vortrag erleben wollte.

Judith Sucher, die pädagogische Leiterin der Gedenkstätte Hadamar, enttäuschte die Erwartungen der Anwesenden nicht, im Gegenteil. Sie schlug die Brücke vom Bau der Einrichtung Ende des 19. Jahrhunderts, die ursprünglich als „Corrigendenanstalt“ – also als Arbeitshaus – für Menschen am Rande der Gesellschaft fungierte, die man dort nicht haben und schon gar nicht sehen wollte: Landstreicher, Arbeitslose, Prostituierte, ehemalige Gefängnisinsassen usw., über die Nazi-Zeit bis zum heutigen Tage.

Besonderes Augenmerk richtete Frau Sucher selbstverständlich auf die Zeit zwischen 1933 und 1945. Anhand mehrerer Patientenbiografien verdeutlichte sie die Perfidie, die Unmenschlichkeit und die Effizienz, mit der die Rassenideologie der Nationalsozialisten dergestalt umgesetzt wurde, dass letztendlich viele tausend „unwerte Leben“ in Hadamar beendet worden waren. 1941 zunächst mit Gas, ab 1942 ließ man die Menschen dort im Rahmen der „dezentralen Euthanasie“ durch Hunger, medizinische Unterversorgung oder auch durch Medikamentengabe regelrecht krepieren. Mit den kräftigsten unter ihnen verdiente man als sogenannte Mietarbeiter/innen bis zu deren Tod sogar noch Geld.

Die „grauen Busse“ brachten Menschen aus ganz Deutschland nach Hadamar, wo sie zunächst noch an ihrem Ankunftstag mit Kohlenmonoxid vergast und anschließend kremiert wurden. Das war auf die Dauer zu teuer, weshalb man die Leichen später nicht mehr verbrannte, sondern auf dem anstaltseigenen Friedhof in Massengräbern verscharrte.

Leider war Hadamar nur eine unter vielen Anstalten, die von den Nazis eingerichtet und unterhalten wurden, die einzig und allein dem einen Ziel dienten: „rassenschädliches, lebensunwertes Leben“ zu beenden. Im Rahmen der Aktion T4, benannt nach der Adresse Tiergartenstraße 4 der zuständigen Einrichtungen, wurde von Berlin aus und Hitlers Büro direkt unterstellt die Ausrottung dieser Menschen gesteuert.

Auch heute wieder Fassungslosigkeit im Plenum, Schmerz, Emotion pur, die in der langen Frage- und Antwortrunde im Anschluss an den Vortrag nochmals deutlich wurden. Eine junge Frau, deren Urgroßmutter in Hadamar zu Tode gekommen war, fragte um Rat. Nach den Schicksalen der Überlebenden wurde sich erkundigt, und natürlich auch nach den juristischen Folgen für die Täterinnen und Täter. Frau Sucher ging eine gute Stunde auf alle Fragen ein, antwortete, gab Hinweise und Erklärungen. Weiteres Kopfschütteln, Unverständnis und Erregung ob der geringen Strafen für die Täter und der ausbleibenden Anerkennung und Entschädigung der Opfer.

Im Anschluss wurde noch viel gesprochen, Judith Sucher wurde von einigen Gästen regelrecht belagert, der Abend war an niemandem spurlos vorbeigegangen. Die junge Dame, deren Urgroßmutter in Hadamar getötet worden war, vertraute uns im Gespräch an: „Ich hatte es bislang nicht über mich gebracht, mich tiefer in die Geschichte meiner Uroma einzuarbeiten. Aber dieser Vortrag heute Abend hat mir geholfen, den nächsten Schritt zu tun, zur Gedenkstätte zu fahren und dort weiter zu forschen. Die Kontaktdaten habe ich schon bekommen.“ –Wir freuen uns, dass wir dazu beitragen konnten.

You’ll never watschel alone!

Die Ausstellung „Das Leben war jetzt draußen, und ich dort drinnen.“, die sich dem Thema Euthanasie und Hadamar widmet, wird bis zum 4. Februar im Haus des Erinnerns – Für Demokratie und Akzeptanz täglich zwischen 10 und 16 Uhr zu sehen sein. Wegen kurzfristiger krankheitsbedingter personeller Ausfälle ist eine Anmeldung per E-Mail an info@haus-des-erinnerns-mainz.de angeraten.

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