!Nie Wieder – Für Erinnerung und Vielfalt

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Abendveranstaltung am Erinnerungstag im deutschen Fußball

Zahlreiche Einladungen waren verschickt sowie Ankündigungen in der Presse und auf Webseiten veröffentlicht worden, über die sozialen Medien wurde gepostet, verlinkt und geliket. Alles, um die Abendveranstaltung des FC Ente Bagdad und seiner Unterstützer, besetzt mit prominenten Teilnehmern und Gästen, zu bewerben. Soviel kann gesagt werden: Es war ein voller Erfolg.

Aber der Reihe nach. Am Nachmittag kickten die Enten in der heimischen „Enten-Arena” gegen die Mannschaft des TuS Makkabi Deutschland. Nachdem die Heimmannschaft dem Gast in der ersten Halbzeit keine wirkliche Chance gelassen und zum Pausenpfiff bereits mit 3:0 geführt hatte, besannen sich die Enten in der Halbzeitpause ihrer Gastgeberpflichten. Mit komplett neuer Mannschaft überließ man den Gästen über weite Strecken sowohl das Spiel als auch das -feld, was diese gern annahmen. Großzügig ließen sich die Enten von einer 3:0-Führung zu einem 3:4-Rückstand zurückfallen, um kurz vor Schluss das Ausgleichstor zu schießen. Damit war ein dem Tag und Anlass angemessenes Endergebnis von 4:4 Toren erreicht, das die Mannschaften und die zahlreichen Zuschauer, die trotz widriger Temperaturen den Weg in die „Enten-Arena” gefunden hatten, zufrieden stellte.

Mehr als zufriedenstellend war dann die am selben Abend folgende Veranstaltung im „Haus am Dom”.

Von Norbert König aus der ZDF-Sportredaktion professionell und sympathisch geleitet wurde dem voll besetzten Saal ein intensives und höchst informatives Programm zum Thema Antisemitismus gestern und heute geboten. Eberhard Schulz von der „!Nie Wieder”-Initiative unterstrich die Wichtigkeit solcher Veranstaltungen gegen das Vergessen und für die gesellschaftliche Gesundheit, gegen jede Form von „-ismus” und für ein tolerantes und respektvolles Miteinander in einer Demokratie.

Oded Breda, eigens aus Tel Aviv angereister Initiator des anschließend gezeigten Films „Liga Terezin”, sprach über die Geschichte und Hintergründe seiner Forschungen und Dreharbeiten, über bewegende Momente, Widerstände, Sprachlosigkeit noch heute bei Opfern und Überlebenden. Die Bedeutsamkeit des Filmes auch Jahre nach seiner Entstehung sei einerseits erfreulich, was er zunächst nicht gedacht hatte. Andererseits sei es erschreckend und traurig, welche Aktualität „Liga Terezin” immer noch hat, und dass die Gründe dafür nicht weniger sondern eher zahlreicher geworden seien.

Im Anschluss an die Ausstrahlung des rund 50-minütigen Dokumentarfilms und nach beeindrucktem Schweigen des Plenums stellte der Historiker Dr. Stefan Zwicker die gezeigten Bilder in den historischen und politischen Zusammenhang. Keineswegs sei das KZ Theresienstadt das einzige Konzentrationslager mit sportlichen Aktivitäten gewesen, jedoch habe dieses „Vorzeigelager” einen eigenen Stellenwert gehabt und eine besondere Rolle in der Propaganda der Nationalsozialisten eingenommen.

Dr. h.c. Johannes Gerster verstand es anschließend, dem aufmerksam lauschenden Publikum das Judentum, die Einbindung der Juden in die deutsche Gesellschaft sowie die politischen und weltanschaulichen Strömungen seit Ende des 19. Jahrhunderts deutlich zu machen. Er schlug den Bogen von Europa bis nach Mainz und sprach abschließend über den 1. FSV Mainz 05 sowie dessen Gründungsmitglied und ersten Vorsitzenden Eugen Salomon, der in Auschwitz ermordet worden war und nach dem die Zufahrt zur OPEL ARENA in Mainz benannt ist.

Während der folgenden Expertenrunde erläuterte die Historikerin Dr. Hedwig Brüchert detailreich die Geschichte der Familie Salomon, Dr. Zwicker und Dr h.c. Gerster erweiterten den geschichtlichen und geographischen Fokus und Oded Breda verriet einige im Film nicht dargestellten Details aus den Interviews und der Zusammenstellung der Szenen.

Dass das Publikum dem Thema des Abends und den Ausführungen dazu sehr aufmerksam gefolgt war verrieten die anschließenden Fragen an die Experten auf dem Podium. Auch hier kam es – wie bereits bei der Diskussion vorher – zu intensiven Auseinandersetzungen mit der Geschichte insgesamt und deren Facetten im Besonderen.

Den spontanen Schlusspunkt des offenen Gespräches setzte schließlich Serge Salomon, Enkel des genannten Eugen Salomon, der gemeinsam mit seiner Gattin zu dem Abend angereist war. Er unterstrich die Bedeutung, die Tragweite und auch den Wert von Veranstaltungen wie dieser. Er ganz persönlich habe das im Film und in den Diskussionen geschilderte Schweigen der Betroffenen am eigenen Leibe erlebt, und es habe ihn Zeit seines Lebens belastet, nicht mehr als die Eckdaten der Schicksale zu kennen. Erst die Aufarbeitung durch Historiker habe ihm geholfen, die Geschichte der Familie und ihrer Mitglieder besser zu begreifen.

Im lang anhaltenden Applaus und dem verständlichen Wunsch der Gäste, nach fast dreistündigem intensivem Programm aufzustehen und sich zu bewegen, wäre beinahe noch der allerletzte und kurzfristig improvisierte Programmpunkt untergegangen. Der Entencoach Ronald Uhlich wurde stellvertretend für den gesamten Club durch Volker Schmitt vom Südwestdeutschen Fußballverband im Namen des DFB zum „Gentleman des Sports” für kontinuierliche ehrenamtliche Tätigkeit ausgezeichnet.

Dann war aber wirklich Schluss. Die Gäste strömten sowohl zum Buffet und den Getränken, wo die drei Geflüchteten des FC Ente Bagdad Shady, Shahram und Sharmake alle Hände voll zu tun hatten, als auch an die frische Luft. Es wurde noch lange diskutiert, geredet, gelacht, Hände wurden geschüttelt und Schultern geklopft. Nachdem um 23 Uhr der letzte Gast gegangen, alle Lichter gelöscht und das „Haus am Dom” geschlossen war begann bereits die Aufarbeitung des Abends durch die Enten bei dem einen oder anderen geistigen Getränk, die erst in den frühen Morgenstunden enden sollte.

Unser ganz besonderer und herzlicher Dank gilt allen Teilnehmern an diesem Abend, die zahlreich erschienen und aktiv dabei waren.

Selbstverständlich bedanken wir uns auch nochmals bei der !Nie Wieder-Initiative Erinnerungstag im deutschen Fußball, bei Makkabi Deutschland, dem SWFV – Südwestdeutscher Fußballverband, dem Landessportbund Rheinland-Pfalz, dem 1. FSV Mainz 05, dem DOSB – Deutscher Olympischer Sportbund und der DFB Kulturstiftung für ihre Unterstützung rund um diese Veranstaltung – und darüber hinaus.

You’ll never watschel alone!

Nachtrag:
Passend zum Thema veröffentlichte die taz am 28.1. ein Interview mit Michel Friedman.
Die deutsche Schriftstellerin und freie Journalistin Mely Kiyak, Tochter aus der Türkei stammender kurdischer Einwanderer, schrieb in ihrer Theaterkolumne vom 1. Februar 2018 einen sehr berührenden Text „Familie Kiyak weint um Familie Friedman“.
 

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Kommentar von Jutta S. |

Danke für den Abend! Sehr bereichernd, interessant, informativ und Eindruck-hinterlassend!

Kommentar von Dr. Stefan Z. aus W. |

Ich denke, dass es ein ausgesprochen gelungener und informativer Abend war. Ein souveräner Moderator, kompetente und schlanke Referenten (:)) und eine sehr gute Organisation, zusammem mit dem Match am Nachmittag bin ich voll des Lobes, und das von einem Wiesbadener und SGE-Mitglied.
Herzliche Grüße aus Wiesbaden,
Stefan Zwicker

Kommentar von Johannes Gerster |

Liebe Freunde,

Glückwunsch zur Veranstaltung im Haus am Dom.
Leider konnte ich mich nur von einigen und nicht von allen Akteuren verabschieden.

Danke für Eure Bemühungen. Ihr könnt stolz auf diese Veranstaltung sein. Während die Vertreter der etablierten Mainzer Parteien auf irgendwelchen Fastnachtssitzungen herum saßen, habt Ihr Verantwortung gezeigt. DANKE!

Mit freundlichem Gruß,
Euer Johannes Gerster

Kommentar von Kim Uhlich |

Ein sehr beeindruckender Abend. Vielen Dank an alle Beteiligten!
Die Zusammenfassung und die Bilder vermitteln noch einmal sehr gut die besondere Atmosphäre der Veranstaltung.

Kommentar von Carsten Kühl |

Das war eine sehr gelungene und sehr wichtige Veranstaltung. Chapeau!
Prof. Dr. Carsten Kühl (SPD)

Kommentar von Eberhard Schulz – !Nie Wieder-Initiative |

Es war ein großer Abend im Haus am Dom für alle Mainzer, für die Entenfamilie, die 05er, für Oded, Serge, ja auch für "!Nie wieder - Erinnerungstag im deutschen Fußball".
Herzlichst und Glückauf, Shalom und Servus
Eberhard

Kommentar von Dr. Rahim Schmidt |

Vielen herzlichen Dank für die Einladung, es war eine sehr gelungene Veranstaltung, der Film v.a. hat mich anders berührt als manche schlimme Bilder, die man schon kennt. Hier ging es nicht primär um die Tat, sondern um Nachzudenken und Verantwortung zu übernehmen, wo ein Unrecht entsteht.

Ich bin selbst als Exilmensch seit fast vierzig Jahren auch bei ai engagiert und finde es eine große Schande, wie die Mullahs auf die Juden hetzen. Leider auch von Teilen der Politik geduldet, ja manchmal gefördert werden. Judenfeindlichkeit ist Menschenfeindlichkeit.

Ich Danke euch vom ganzen Herzen für eueren Einsatz für eine friedliche und gerechte Welt.

Kommentar von Erdmute Emden |

Es war eine beeindruckende Veranstaltung! Sie wird Spuren hinterlassen.

Und es berührt mich sehr, dass die Initiative von Euch ausging. Umso mehr erfreut es mich, dass die Veranstaltung auf ein so positives und sicherlich auch fruchtbares Echo stiess. Etwas Anderes konnte ich mir auch gar nicht vorstellen. Und die Ehrung von Ronald hat mich auch nochmal sehr gefreut. Eine kleine Anerkennung für euer aller Engagement! Und da ja hinter jedem erfolgreichen Mann eine starke Frau steht, war die Ehrung sicherlich auch für Rita gedacht!

Ihr habt etwas ganz Grosses geleistet und dafür gesorgt, dass Seelen berührt werden, Herrn Salomon Würde zurück gegeben wurde.

Vielen Dank für diesen unvergesslichen Abend.

Kommentar von Kriemhild Uhlich |

Eine rundum beeindruckende und gelungene Veranstaltung, die bei mir als Zeitzeugin viele Erinnerungen aufkommen ließ. Ein Lob den Initiatoren und dem Moderator Norbert König, der professionell und sehr einfühlsam durch den Abend führte.

Kommentar von Nedia Zouari-Ströher |

Liebe Enten-Familie,
zwar durfte ich euch im Namen des Landessportbundes Rheinland-Pfalz und des Deutschen Olympischen Sportbundes allen schon persönlich für den erfolgreichen Abend meinen größten Dank und Lob aussprechen, möchte dies aber noch auf diesem Wege tun.
Was ihr an dem Abend auf die Beine gestellt habt, zeugt von eurem großen Zusammenhalt und eurer Sensibiliät, die in der Entenfamilie gelebt werden.

Die Darstellungen und Erklärungen der Referenten, der Zeitzeugen im Film und die Erfahrungen Oded Bredas berührten die Teilnehmer sehr!
Ich finde, dass hierbei die Rolle des Sports sehr deutlich vermittelt wurde.

Sport ist Leben! Sport ist Hoffnung! ...und kann Dialog sein!

Die Bilder des Films und die Zeitzeugenberichte unterschieden sich deutlich von denen, die man für gewöhnlich gezeigt bekommt.

Der krönende Abschluss war die Wortergreifung Serge Salomons! Einfach unvergesslich und ein perfekter Abschluss des Abends!

Vielen Dank an die gesamte Entenfamilie und die netten "Service-Kräfte" (Fußballspieler des FC Ente Bagdad) für die Idee und die Organisation des Abends.

Über Folgeprojekte tauschten wir uns bereits aus ;)
wir stolz euch zu unseren Stützpunktvereinen "Integration durch Sport" zählen zu dürfen!

Viele Grüße,
Nedia Zouari-Ströher