Julius Hirsch Preis in der Frankfurter Rundschau

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Helden des Fußballalltags

(Frankfurt/Main – FR) Rund um die Verleihung des Julius Hirsch Preises 2019 durch den DFB im Gesellschaftshaus des Frankfurter Palmengartens am 18. November 2019 erschienen reihenweise Berichte in den Online- und den gedruckten Ausgaben der Zeitungen. Sie alle an dieser Stelle auch nur aufzulisten würde den Rahmen unserer kleinen Webpräsenz sprengen, weshalb wir stellvertretend für die gesamte Zunft einen unserer bescheidenen Meinung nach besonderen Artikel von Jan-Christian Müller und Günter Klein aus der Frankfurter Rundschau zitieren.

Der Deutsche Fußball-Bund vergibt Preise für gesellschaftliches Engagement - auch an die Toten Hosen. Doch für den bewegendsten Moment der Verleihung sorgt ein anderer.

Es kommt nicht mehr oft vor, dass der vielgescholtene Deutsche Fußball-Bund irgendwo öffentliches Lob erhält. Am Montagabend im Gesellschaftshaus des Frankfurter Palmengartens gab es so einen Ausnahmesituation. Da sagte kein Geringerer als Campino, der Leadsänger der Toten Hosen, er habe, dem DFB sei Dank, gerade „einen der schönsten Abende der letzten Zeit“ erlebt. Die Rockband hatte zuvor den Julius-Hirsch-Ehrenpreis als Auszeichnung für ihr antirassistisches Engagement überreicht bekommen und steht damit nun in einer Reihe mit Herbert Grönemeyer, Ex-Nationalspieler Thomas Hitzlsperger oder Giovanni di Lorenzo, dem Chefredakteur der „Zeit“.

Die nicht mehr ganz taufrischen Herren aus Düsseldorf sehen sich immer noch als Punkband – und so entsteht im Frankfurter Westend ein herrlicher Kontrast. Hier der DFB, mit seiner ersten Funktionärsgarde in der ersten Reihe, eher konservativ als fortschrittlich, gleich daneben die schrillen Stars aus der Musikszene. „Wir fühlen uns sehr geehrt. Der DFB hat mit diesem Preis etwas sehr Wichtiges und Gutes ins Leben gerufen“, sagte Campino, „indem er Zivilcourage beobachtet und würdigt.“ Die Band positionierte sich immer schon gegen Rechts, zuletzt besonders öffentlichkeitswirksam beim Open-Air-Konzert „Wir sind mehr“ in Chemnitz. Dafür wurde sie ausgezeichnet. „Wir empfinden das nicht als Leistung, denn wir sind von unseren Eltern so erzogen worden, dass wir uns nicht raushalten sollen“, sagte Campino.

Preis an prominente Figuren aus dem Umfeld des Fußballs

Der Julius-Hirsch-Preis soll gesellschaftlich wirken. Deswegen hat der DFB auch diesen Ehrenpreis eingeführt, den er, neben der Auszeichnung für die kleinen Helden des Fußballalltags, an prominente Figuren vergibt. Der Karlsruher Hirsch war einer der ersten deutschen Fußballstars, Nationalspieler, Deutscher Meister, ein deutscher Patriot und Jude, das war kein Widerspruch. Doch 1943 verfrachteten die Nazis ihn nach Auschwitz, wo er ermordet wurde. Die letzte Postkarte, die er während seiner Deportation an die Familie schrieb, kann man im Deutschen Fußballmuseum besichtigen.

An Hirsch wird mit diesem Preis erinnert, der seit nunmehr 15 Jahren an besonders engagierte Klubs und Initiativen verliehen wird, die sich besonders gegen Rassismus, Antisemitismus und Diskriminierung einsetzen. In diesem Jahr wurde aus 99 Bewerbern die Mainzer Freizeitmannschaft FC Ente Bagdad zum Sieger gekürt. Die Enten sind 1973 von einigen Studenten gegründet worden und engagieren sich seitdem regelmäßig zivilgesellschaftlich vorbildlich. „Der Preis“, jubelte Mitbegründer Ronald Uhlich, „gibt uns Rückenwind für all die Dinge, die wir jetzt noch vorhaben.“

Holocaust-Zeitzeuge und -Überlebender ist der Star des Abends

Die Ente Bagdad sei ein Wahnsinnsverein, „der seine Spuren durch ein halbes Jahrhundert zieht“, sagte Laudator Eberhard Schulz von Maccabi München. Die „Entenfamilie“ übernimmt Fußballpatenschaften für Flüchtlinge, sie reist in Herkunftsländer ihrer Mitglieder, und nach dem Angriff auf einen Kippaträger in Berlin bestritten die Mainzer ihr nächstes Freundschaftsspiel demonstrativ mit Kippot. Auf ihren Schals steht „You’ll never watschel alone“, am Ende des Abends hatte auch Campino einen Schal umhängen. Er will ihn seinem Kumpel Jürgen Klopp, einst in Mainz zu Hause, weiterreichen.

Zu Beginn der vom Chor und von Musikern des Frankfurter Goethe-Gymnasiums begleiteten Gala vor 300 Gästen hatte DFB-Präsident Fritz Keller mit sehr deutlichen Worten zu mehr Zivilcourage aufgerufen. „Wir dürfen nicht mehr den Mund halten, sondern bei jedem dummen Spruch Zivilcourage zeigen und sagen, dass wir diesen Mist nicht mehr hören wollen. Die Idioten sollen einfach die Fresse halten.“ Dass das Thema im Jahr 2019 überhaupt noch so groß angesprochen werden müsse, sei eine „kleine, nein, eine große Katastrophe“, ergänzte Keller unter Beifall, „Lasst uns nach draußen rufen: Wir stehen zusammen. Wir lassen uns nicht trennen.“

Der unbestrittene Star des Abends war aber gar nicht Fritz Keller, auch nicht Ente Bagdad oder Campino, sondern der 88-jährige Holocaust-Zeitzeuge und -Überlebende Zvi Cohen, der aus seinem Leben und der Deportation ins Konzentrationslager Theresienstadt erzählte, eindrucksvoll Mundharmonika spielte und als Botschaft ein „Nie wieder“ hinterließ. In seinem Buch „Der Junge mit der Mundharmonika“ hat Cohen das Leiden und Hoffen der schlimmsten Jahre seines Lebens beschrieben. Sein Auftritt: ein bewegender Moment.

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