Frankfurter Rundschau - Nie wieder Auschwitz
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Lichtkegel auf das Schattenreich

In der FR – Frankfurter Rundschau wird der Erinnerungstag im deutschen Fußball thematisiert und auf die zahlreichen Aktionen in den bundesdeutschen Stadien aufmerksam gemacht.
Hier kommt der Text von Jan Christian Müller, das Foto ist © Imago:
Der deutsche Fußball erinnert sich an die Gräueltaten des Nationalsozialismus.
Zwischen 1941 und 1945 ermordeten Deutsche und ihre Schergen im Zuge des staatlich propagierten Antisemitismus Abermillionen Juden. Der nationalsozialistische Völkermord als abscheuliches Menschheitsverbrechen darf nie vergessen werden. Als abschreckendes Symbol für den Holocaust gilt der weitverzweigte Komplex des Konzentrationslagers Auschwitz, in dem allein mehr als eine Million wehrlose Menschen gepeinigt, gedemütigt, gefoltert und getötet wurden, ehe die Rote Armee die lediglich rund 7000 Überlebenden am 27. Januar 1945 befreite. Viele der befreiten Insassen verstarben, zu Tode geschwächt, noch in den Tagen danach.
Seit nunmehr 15 Jahren hat sich der deutsche Fußball mit der Initiative „!Nie wieder“ diesem internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus angeschlossen. Nicht nur für Fußballfans ist der Befreiungstag ein Grund, sich der Gräueltaten der Nazis zu erinnern. Fanprojekte und Klubs haben zunehmend erkannt, dass sie zu der Erinnerungskultur aktiv beitragen und sich mit ihrem Engagement das Massenphänomen Fußball zunutze machen können, um eine spürbare Außenwirkung zu erzielen.
Die Deutsche Fußball-Liga (DFL) und der Deutsche Fußball-Bund (DFB) gedenken deshalb gemeinsam mit Klubs und Fans an diesem Wochenende in den Stadien den im Nationalsozialismus Verfolgten und Ermordeten. Ein Lichtkegel auf Hitlers Schattenreich. „In den 70er Jahren“, so der renommierte Buchautor Dietrich Schulze-Marmeling, „war Rassismus in den Stadien normal, und es gab keine Gegenwehr.“ Diese Gegenwehr im Zuge eines derzeit in einigen Stadien wieder aufkommende Rechtsextremismus gebe „es heute auf alle Fälle“. Schulze-Marmeling ist dabei aufgefallen, dass sich viele sehr junge Menschen in den Fankurven entsprechend engagieren, er findet das ebenso erstaunlich wie beeindruckend. Dass man von den Profis wenig zum Thema hört, verwundert den Fachmann kaum: „Die Spieler werden so erzogen, dass sie sich auf das Spiel konzentrieren sollen.“ Klubverantwortliche wie der Mainzer Sportvorstand Rouven Schröder räumen ein, dass sie derartige Themen nicht aktiv an die Mannschaft herantragen. Zumal, nicht zu vergessen, die knappe Mehrzahl der hierzulande tätigen Bundesligaprofis Ausländer sind.
Umfangreiche Erinnerung an den Holocaust
An einigen Standorten – etwa in Frankfurt, Darmstadt, Mainz, Osnabrück, Hamburg, Gelsenkirchen oder Dortmund – wird der Jahrestag der Befreiung zum Anlass zu eigenen Veranstaltungen oder gar umfangreichen Erinnerungsreihen genommen. Das Fanprojekt des Drittligisten VfL Osnabrück veranstaltet die Projektwoche „Nie wieder“. Vor dem Heimspiel von Darmstadt 98 am kommenden Dienstag gegen den FC St. Pauli legen beide Klubs am Gedenkstein auf dem Dr.-Karl-Heß-Platz einen Kranz nieder. Mainz 05 hat gemeinsam mit dem Fanprojekt und dem hochengagierten Verein FC Ente Bagdad einen Tag des Erinnerns mit dem Juden Zvi Cohen organisiert, der das Lager Theresienstadt überlebte.
Die Schalker Faninitiative und ein Aktionsbündnis erinnern sich unter der Überschrift „Kein Vergeben, kein Vergessen“. Im „Borusseum“, dem Museum von Borussia Dortmund, wird das Thema „Der Weg in den Holocaust – die Eskalation der deutschen Vernichtungspolitik in der Sowjetunion im Sommer 1941“ vorgetragen und diskutiert. Der BVB lädt gemeinsam mit weiteren Partnern und dem Sponsor Evonik bis April in eine Ausstellung, die auch die Verantwortung des Evonik-Vorgängers IG Farben am Völkermord beschreibt.
Der Hamburger SV arbeitet fortan in einer langfristig geplanten Kooperation mit der KZ-Gedenkstätte Neuengamme zusammen. Es gehe grundsätzlich darum, sagt HSV-Boss Bernd Hoffmann, „ein deutliches Zeichen für die Verantwortung des Sports“ zu setzen und sich „klar gegen jegliche Form von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit“ zu positionieren.
Die Frankfurter Eintracht begibt sich auf Spurensuche zu einem Ort, „an dem auch Eintrachtler eingesperrt, entrechtet und ermordet wurden“: dem KZ Theresienstadt. Museumschef Matthias Thoma freut sich „über die große Resonanz“ der Fans, nachdem der Klub beim letzten Heimspiel gegen den SC Freiburg auf dem Videowürfel auf die Initiative „!Nie wieder“ hingewiesen hatte.
In Mainz werden vor dem Spiel am heutigen Samstagnachmittag gegen den 1. FC Nürnberg nicht nur Bilder und Texte auf die beiden Videowände geworfen und von einigen Profis eilig ein Banner hochgehalten. Auch die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer, der Nürnberger Aufsichtsratsvorsitzende Thomas Grethlein und der Mainzer Vereinschef Stefan Hofmann erinnern „an die Opfer des Dritten Reichs und die daraus resultierende Notwendigkeit, Antisemitismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit entschieden entgegenzutreten“.
Mitte Januar haben DFB-Präsident Reinhard Grindel und sein DFL-Kollege Reinhard Rauball die Medien anlässlich der 2. Frankfurter Versammlung des Aktionsbündnisses „!Nie wieder“ aufgefordert, gesellschaftlichen Themen im Fußball mehr Gewicht zu schenken. Grindel räumte zudem im Rückblick auf die Nazi-Zeit ein: „Der Ausschluss aus den Fußballvereinen war ein Schritt auf dem langen Weg der Ausgrenzung und Entrechtung der Juden in Deutschland. Der Fußball hatte sein moralisches Rüstzeug in vorauseilendem Gehorsam aufgegeben.“
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