Filmabend mit der A-Jugend

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Fluchterfahrung in Zeichentrick

Es gibt Momente im Leben, in denen ich mir eine einfachere Zeit wünsche. Die Illusion einer ruhigeren, vergangenen Zeit wächst in meinen Gedanken. Ich sehne mich nach einer stressfreien, einfachen Welt.

Vor ein paar Jahren hatte ich das Vergnügen, mir mit zwei Freunden den Film „Die Melodie des Meeres“ im Kino anzusehen. Emad und Shady kenne ich über Ente Bagdad und wir sind bis heute gute Freunde. Der Film handelt, um es kurz zu sagen, von einer mystischen Reise zurück zu einem Leuchtturm, wie auch von der Suche nach der Mutter. Emad, Shady und ich waren von dem Film sehr gerührt gewesen. Dezent flossen damals Tränen. Meine Freunde waren aus Syrien geflohen. Der Kinofilm erinnerte die Jungs intensiv an ihre Flucht.

Vor ein paar Tagen motivierte ich unsere A-Jugend, diesen Film mit mir anzusehen. Das „Nellys“ in der Mainzer Neustadt stellte uns freundlicherweise seine Räumlichkeiten zur Verfügung.

Es ist aus verschiedenen Perspektiven sicherlich ein kleines Wagnis, einen traurigen Zeichentrickfilm mit pubertären, heranwachsenden jungen Männern anzuschauen, die in einem emotionalen Chaos leben. Mit emotionalem Chaos meine ich, dass fast alle unserer Jungs Kriegstraumata durchlebten, dass sie sich in einer fremden Kultur neu zurechtfinden müssen, dass Sprache und Schule wie auch Ausbildung und Praktika sie weitaus mehr fordern als gleichaltrige deutsche Jugendliche. Und dann noch die Pubertät.

Übertreibe ich? Schätze ich die emotionale Wirkung des Films zu intensiv ein?

–Ich war positiv überrascht von der Teilnehmerzahl, wie auch davon, dass unsere A-Jugend von Anfang bis Ende sich auf den schönen, wenn auch traurigen Film konzentriert hatte. Störungen durch Handys oder ähnliches gab es nicht.

Nach dem Film setzen wir uns näher zusammen, um über ihn zu sprechen. Die Jungs verglichen die gerade gesehene Geschichte mit ihrer eigenen. „Meine Flucht war fast genauso“, „Ich vermisse meine Mutter“, „Auch ich habe meine kleine Schwester über lange Wege getragen“ – diese und viel mehr herzergreifende Kommentare flossen in die Runde.

Unsere Jungs haben sich in ihren Gefühlen wieder ein Stück weiter geöffnet. Jeder wollte sich mitteilen und bekam natürlich auch Gelegenheit dazu. Es wurde keine Traumawunde neu aufgerissen, im Gegenteil, der Abend wirkte wie eine kleine Heilung für die Seele.

Ich empfinde es als eine Ehre wie auch als eine Freude, unserer A-Jugend als Trainer zu dienen. In den Herzen meiner Jungs sehe ich eine friedvolle, bessere Welt. Manchmal frage ich mich, wer hier wen trainiert.

Ich bedanke mich bei Ente Bagdad für die Möglichkeiten, nicht nur Trainer zu sein, sondern Teil einer großen, ehrlichen und starken Familie. Ich bedanke mich bei meinen Jungs, dass ich sehr viel lernen darf.

Ich umarme euch. Michael

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