Ente Bagdad schreibt Erfolgsstories
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Zeitungsartikel aus der Allgemeinen Zeitung Mainz
FUSSBALL Bei den Hobbykickern aus Bretzenheim finden Flüchtlinge eine neue Heimat
(Von Paul Lassay) MAINZ - „Die Ente Bagdad ist meine Familie. Ich fühle mich hier zu Hause.“ Samir Sediqi ist voll des Lobes über den Hobby-Fußballverein aus Bretzenheim, dessen Spieler gerade langsam auf dem Platz in Bretzenheim eintrudeln. Der 22-Jährige spricht sehr überlegt und mit leiser Stimme, die Sprache ist immer noch etwas ungewohnt. Vor zwei Jahren ist Sediqi aus Afghanistan nach Deutschland gekommen und hat in seiner neuen Heimat über den Sport schnell Anschluss gefunden. Mittlerweile kickt er nicht nur bei den Hobby-Fußballern, die einmal wöchentlich ein Trainingsspiel veranstalten, sondern auch bei Vitesse Mayence im regulären Ligabetrieb. Beim 5:3 Sieg in Bodenheim erzielte er seinen ersten Treffer für den B-Klassisten, dem die Enten organisatorisch angegliedert sind.
Sediqis Geschichte ist eine der „Erfolgsstories“ der Enten, von denen Ronald Uhlich erzählen kann. Der Enten-Coach kommt im leuchtenden Weltmeistertrikot zum Training. 1973 hat er mit Freunden den FC Ente Bagdad gegründet, dessen Ausrichtung von Anfang an multikulturell gewesen sei. „Wir wollten international aufgestellt sein, Menschen aus anderen Ländern integrieren“, erzählt er. Und das mit dem „Grundgedanken der Leidenschaft für den Fußball“. Der erste Internationale kam aus dem Iran, viele weitere sollten folgen – und mit ihnen Auszeichnungen und Preise für das Engagement, wie der Europa Sonderpreis und der Respektpreis. Mittlerweile hat der Verein 80 Mitglieder aus 20 Nationen. Die Enten sind bekannt, „wir müssen uns nicht mehr groß vorstellen“, stellt der Coach fest.
Auf dem Platz werden derweil beim Aufwärmen die ersten Schüsse aufs Tor gefeuert, am Zaun dahinter hängt ein großes Banner mit dem Hinweis auf die neueste Initiative des Vereins: „Willkommen im Fußball“. Mainz 05 sei auf die Enten zugekommen, um im Rahmen des Programms der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung, das von der Bundesliga-Stiftung und der Flüchtlingsbeauftragten der Bundesregierung gefördert wird, gemeinsam mit der Stiftung „Juvente Mainz“ eine Kooperation aufzubauen, berichtet Uhlich. So sind mit Unterstützung der 05er unter anderem neue Jugendtrainingsgruppen beim FC Ente entstanden, in denen 13 bis 15-jährige Flüchtlinge und einheimische Jugendliche seit Kurzem montags und mittwochs in Bretzenheim zusammen kicken können. Die Mischung sei dabei für die Enten entscheidend, erklärt Mustapha Smail. Seit sieben Jahren ist er bei den Enten aktiv, nun leitet er das Training der neuen Jugendteams. „Es sollen keine Flüchtlingsmannschaften sein, das ist wichtig. Es geht ja auch darum, dass die Leute ihr Deutsch verbessern können und eine Integration in beide Richtungen stattfindet“, erklärt der diplomierte Dolmetscher. Während von Seiten der Flüchtlinge mit 15 Kindern der Zuspruch die Erwartungen übersteigt, könnten durchaus noch mehr einheimische Jugendliche mitspielen. Am Ligabetrieb soll die Nachwuchsmannschaft genauso wenig teilnehmen wie das Erwachsenen-Team. „Wir wollen hier allen Kindern die Möglichkeit geben, Fußball zu spielen – auch denen, die jetzt vielleicht nicht so die Superstars sind“, schildert Uhlich das Konzept.
Menschen helfen
Das verstärkte Engagement für Flüchtlinge begann bei den Enten Anfang 2014 mit Besuchen in den Flüchtlingsheimen, wo sie die Bewohner animierten, vorbeizukommen. Dass sie Flüchtlingen helfen müssten, lag für den international aufgestellten Klub „auf der Hand“, angesichts der dramatisch steigenden Zahlen von Menschen, die nach Deutschland kommen, beschreibt Uhlich die Entscheidung. „Wir wollen den Menschen beim ersten Schritt helfen, hier anzukommen und ihnen mit Fußball eine zweite Heimat bieten. Wir können natürlich die Flüchtlingsproblematik nicht lösen, aber wir wollen einen Beitrag leisten. Und wir wollen es richtig machen, wollen familiär bleiben und uns individuell kümmern.“
So sollen noch viele Erfolgsstories geschrieben werden. Samir Sediqi will demnächst ein Bauingenieursstudium aufnehmen. Er wäre nicht die erste Ente, die dem Verein wegen eines Studienplatzes oder einer Arbeitsstelle davonfliegt. „Dann sehen wir unseren Job als erfüllt an“, strahlt Uhlich.
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