Aktion zu Erinnerungstag im deutschen Fußball

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Gemeinsam für Erinnerung und Vielfalt

Zum Erinnerungstag im deutschen Fußball wurde im Rahmen des Spiels von Mainz 05 gegen Borussia Dortmund der Opfer des Holocaust gedacht. Die Präsidenten beider Vereine, Strutz und Rauball, verlasen vor Spielbeginn gemeinsam mit Serge Salomon, Enkel des ersten Präsidenten von Mainz 05, der in Auschwitz umgebracht wurde, den Stadiontext.

Junge Geflüchtete aus der Jugendmannschaft von Ente Bagdad hielten beim Verlesen des Textes und beim Einlaufen der Profis, zusammen mit 05- und BVB-Fans, das Banner mit der Aufschrift „Gemeinsam für Erinnerung und Vielfalt‟ auf dem Spielfeld hoch.

Vor dem Spiel und in der Halbzeitpause lief auf den Videowalls ein Film, in dem Mainzer Fußballprofis Aussagen gegen Ausgrenzung, Rechtsradikale und -populisten sowie für Integration, Erinnerung und Vielfalt machten.

Zusätzlich gab es im Stadionheft eine Doppelseite, auf der ausführlich über den Hintergrund des Erinnerungstages sowie über die Schicksale von Eugen Salomon (Mainz 05) sowie Heinrich Czerkus (BVB) berichtet wird. Text siehe unten.

Die Initialzündung zu dieser Aktion sowie der Slogan, Stadiontext und Text für die Stadionzeitung kamen von Ente Bagdad!

Vor dem Spiel empfingen Alex Schulz von den 05-Supporters sowie eine Entenabordnung Serge Salomon und dessen Sohn Eric. Mit den beiden sehr sympathischen Menschen unterhielten wir uns lange und ausgiebig, für ein Bierchen war auch noch Zeit, und beide bekamen jeweils einen Entenschal überreicht. Eine gelungene Aktion an einem mit einem Punkt gegen die Dortmunder Borussia gekrönten Heimspielabend.

Ur-Ente und Historiker Elmar R. hat einen Text für das Stadionheft zum Heimspiel von Mainz 05 gegen Borussia Dortmund verfasst, dessen Wortlaut hier noch einmal nachzulesen ist:

13. Erinnerungstag im deutschen Fußball 2017

Der Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus
Am 27. Januar 1945 wurde das Konzentrationslager Auschwitz durch die Rote Armee befreit. Dort waren von den Nationalsozialisten zwischen 1940 und 1945 ca. 1,5 Millionen Menschen aus ganz Europa – zu 90% Juden – umgebracht worden. Der 27. Januar ist seit 1996 ein bundesweiter, gesetzlich verankerter Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus. Daran beteiligen sich auch die Vereine im deutschen Fußball. Zusammen mit ihren Fans gedenken sie aller Menschen, die durch die Nazi-Diktatur und den Folgen ihrer Gräueltaten ihr Leben verloren oder ihrer Heimat entrissen und in die Ungewissheit der Flucht getrieben wurden. Gerade in einer Zeit, in der vor wenigen Tagen ein führender AfD-Politiker das Holocaust-Mahnmal in Berlin provokativ als „Denkmal der Schande“ bezeichnet und dabei bewusst NS-Vokabular benutzt hat, ist dies umso notwendiger.

Die „Machtergreifung“ durch die Nationalsozialisten
Wie konnte es dazu kommen? Fast genau 12 Jahre vor der Befreiung des KZ Auschwitz, am 30. Januar 1933, feierten die Nationalsozialisten die Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler. 12 Jahre später hatten die Nazis die gesamte Welt in ein Chaos gestürzt und einen Weltenbrand verursacht, welcher Millionen von Menschen das Leben kostete. Schon 1933 wurde das gesamte gesellschaftliche und politische Leben „gleichgeschaltet“, d.h. demokratische Strukturen wurden beseitigt, vor dem Hintergrund einer primitiven Rassenlehre wurden die Juden aus dem gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen und alle Führungspositionen mit linientreuen Nazis besetzt. Was waren die Ursachen für die breite Zustimmung in der Bevölkerung zur menschenverachtenden Politik der Nationalsozialisten? Sicher gehörten die Enttäuschung über das etablierte politische System und existenzielle Zukunftsängste dazu.

Die Rolle des Fußballs in den 30er Jahren
Gerade im seit Anfang des 20. Jahrhunderts in Deutschland boomenden Fußball engagierten sich auffallend viele Juden – als Spieler, Funktionäre und Förderer. Sie leisteten einen wesentlichen Beitrag zur Entwicklung dieser Sportart und dokumentierten damit ihre Integration in die Gesellschaft. Der Fußballsport war ein Spiegelbild der Gesellschaft. Die meisten Funktionäre und Spieler folgten nach 1933 mit Begeisterung den nationalsozialistischen Parolen. Der DFB wehrte sich nicht gegen die Vereinnahmung durch das NS-Regime, um seine Existenz zu sichern. Auch in vielen Vereinen wurden Juden schon 1933 ausgeschlossen. In Mainz fand am 30. August 1933 eine außerordentliche Mitgliederversammlung statt, auf welcher der Verein „gleichgeschaltet“ und das Führerprinzip eingeführt wurde. Auch der BV Borussia Dortmund musste sich den Regularien des Regimes anpassen, blieb aber als traditioneller Arbeiterverein durchaus widerborstig.

Mainzer und Dortmunder Fußballerschicksale
Juden engagieren sich bei Mainz 05 als Spieler, Funktionäre und Förderer. Man weiß bis heute nur wenig darüber. Eugen Salomon war einer von ihnen - Mitgründer des Vereins im Jahre 1905, Textilunternehmer, zeitweise Erster Vorsitzender und bis 1933 im Vorstand aktiv. Schon 1933 floh er vor den Nazis nach Frankreich, und bis vor wenigen Jahren war sein weiteres Schicksal für Mainz bzw. Mainz 05 unbekannt. Heute weiß man, dass er von den Nazis in Zentralfrankreich gefangen genommen und in abscheulichen Zugfahrten über Paris schließlich ins Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert und dort umgebracht wurde. Seine Frau Alice und seine beiden Kinder überlebten in Frankreich.

In Dortmund spielten auf der einen Seite Anhänger der Nationalsozialisten im Verein eine zentrale Rolle, so war z.B. der erste Dortmunder Nationalspieler, August Lenz, NSDAP-Mitglied. Auf der anderen Seite gab es im Verein eine Reihe von Personen, die dem Widerstand zuzurechnen waren. Zum Teil nutzte man die Infrastruktur des Vereins, z.B. um Flugblätter zu drucken. Der langjährige Zeugwart des Vereins, Heinrich Czerkus, war Mitglied der KPD und engagierte sich im kommunistischen Widerstand gegen die Nazis. Noch kurz vor Kriegsende 1945 wurde er entdeckt und von der Gestapo ermordet.

Die Flucht ermöglichte vielen Verfolgten das Überleben. Carl Lahnstein, Vorstandsmitglied und Förderer von Mainz 05, gelang noch 1938 die Flucht in die USA. Kurt Landauer, Präsident des FC Bayern München, verbrachte die Kriegsjahre in der Schweiz. Beide hatten Glück, in anderen Ländern Aufnahme und Unterstützung zu finden, doch Unzählige fanden den Tod, weil sie keine Möglichkeit bekamen, vor dem Unrecht, vor Krieg und Verfolgung zu fliehen.

Die Lehren daraus – die Genfer Flüchtlingskonvention
Der Holocaust und die Verbrechen der Nazis sind in ihrer Grausamkeit und Menschenverachtung unvorstellbar und mit nichts zu vergleichen. Doch Krieg, Gräueltaten, Verfolgung und Flucht gibt es heute noch. Damals zog die Weltgemeinschaft aus den vielen Schicksalen ihre Lehren und verankerte das Recht Asyl zu ersuchen in Artikel 14 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948. Dabei handelt es sich aber um unverbindliche Empfehlungen der Vereinten Nationen. Die Grundlagen des heutigen Flüchtlingsschutzes sind die Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 und das dazugehörende Zusatzprotokoll von 1967. Dort werden die Rechte und Pflichten von Asylsuchenden in den Aufnahmeländern geregelt, allerdings kein Anspruch auf Asyl im Gastland begründet. Die Regelung der Flüchtlingsproblematik ist heute ein drängendes Problem. Fast 4000 Menschen starben im vergangenen Jahr bei dem Versuch das Mittelmeer zu überqueren. Unter ihnen war auch die Nationaltorhüterin Gambias, Fatim Jawara.

Fußballer gegen Fremdenhass und Diskriminierung
Der Fußball ist heute ein für kulturelle Vielfalt stehender Sport. Die Erinnerung an die Opfer der Nationalsozialisten sowie antisemitische und menschenfeindliche Tendenzen in der heutigen Gesellschaft sind gerade für die Fußballer Anlass, die Verpflichtungen aus der Genfer Flüchtlingskonvention ernst zu nehmen und dem Schutz der Menschen in Not Priorität zu geben. Diesem Anliegen verleiht der Fußball ganz besonders Nachdruck durch die vielen Projekte, in denen Amateur- und Profivereine und ihre Fans sich für Geflüchtete engagieren. Dazu gehören die Initiative „!Nie Wieder - Initiative Erinnerungstag im Deutschen Fußball“ und die vielfach für ihr Engagement ausgezeichneten Mainzer Hobbyfußballer von „Ente Bagdad“. Die Projekte beweisen eindrücklich die Kraft des Sports, bei dem Herkunft, Hautfarbe, Religion, Sprache, sexuelle Orientierung und vergleichbare Unterscheidungsmerkmale keinen Grund für Ausgrenzung bedeuten.

Die Partner:

  • Die Hobbyfußballer von Ente Bagdad (Mainz)
  • !Nie Wieder – Initiative Erinnerungstag im Deutschen Fußball
  • Die Vereine Mainz 05 und Borussia Dortmund
  • Die Fans beider Vereine

Text: Dr. Elmar Rettinger (Institut für Geschichtliche Landeskunde an der Uni Mainz e.V.)
Weitere Informationen unter: 
www.regionalgeschichte.net, www.niewieder.info

Ein Artikel aus der Allgemeinen Zeitung Mainz vom 28. Januar sowie der Text der Stadiondurchsage sind bei den Bildern (die beiden letzten © 1. FSV Mainz 05) unten zu lesen.

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