Von «gelangweilten Gymnasiasten», Enten und Flüchtlingen beim Fußball

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dpa Pressebericht über den FC Ente Bagdad

Maximilian Perseke von der dpa hat am 6. Dezember das Training der A-Jugend in der Entenarena besucht und einen sehr schönen Artikel geschrieben, der nun veröffentlicht worden ist. Hier sein Original:

Mainz (dpa/lrs) - Die somalischen Waden kommen zum Vorschein, kurz bevor der Schnee fällt. Sharmarke will ohne lange Hosen Fußball spielen. Neben ihm blickt Mannschaftskollege Shahram Rezai - mit einer afghanischen Flagge auf seinem Stirnband - zum Himmel über Mainz und sagt: «Ich glaube, es gibt Schnee.» Dann fallen die ersten Flocken. Und der Blick wandert wieder zum Ball, zum kalten Leder.

Für die A-Jugend-Mannschaft, in der die beiden 18-Jährigen spielen, laufen seit 2016 vor allem Jungs aus Mainzer Flüchtlingsheimen auf - Jungs wie Sharmarke und Shahram eben. Angestoßen hat das Projekt eine Hobby-Fußball-Truppe unter dem Dach des Mainzer Fußballvereins Vitesse Mayence: der FC Ente Bagdad, den es seit 1973 gibt.

«Der Fußball ist das Vehikel», sagt Ronald Uhlich. Der Mitbegründer der «Enten» beobachtet die rund 20 Jungs beim Training. Man wolle sie in die Gesellschaft einführen. Probleme zeigen sich schon auf dem Platz: Sie kommen zu spät zum Training, lassen sich von Gegenspielern provozieren und legen sich mit Schiedsrichtern an.

«Man muss aufpassen und schnell eingreifen», sagt Uhlich. Mittlerweile laufe vieles besser als am Anfang. Die Trainer greifen hart durch, die jungen Männer diskutieren bei der Mannschaftssitzung über Strafenkataloge bei Fehlverhalten.

Uhlich und andere dienstältere «Enten» begegnen den Nachwuchsspielern gerne in der Mainzer Innenstadt. Denn sie seien positiv eingestellt. «Sie zaubern einem ein Lächeln ins Gesicht», sagt Edgar Ledür, ein Belgier unter den «Enten».

Auch das Deutsch der jungen Männer ist gut verständlich, denn ihre Muttersprachen dürfen sie auf dem Platz, in der sogenannten «Enten-Arena», nicht benutzen. Auch neben dem Platz leben sie sich ein, wenn sie nicht gerade zur Schule gehen. Sharmarke, der vor eineinhalb Jahren aus Somalia flüchtete, sagt: «Wir machen viele Sachen, wie Schwimmkurs. Wir gehen zusammen immer Party und machen viele Sachen mit dem Trainer.» Shahram hat auch gelernt: «Was ist Eckball? Was ist Mittelfeld?» In seiner Heimat hat er im Gegensatz zu Sharmarke noch nicht Fußball gespielt.

Die A-Jugend der «Enten» ist auch das Ergebnis eines Integrations-Bündnissen, das der FC Ente Bagdad 2015 unter anderem mit dem Bundesligisten FSV Mainz 05 geschlossen hat. Das Projekt «Willkommen im Fußball» der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung zählt bisher über 20 solcher Kooperationen in Deutschland, bei denen große Vereine mitmachen. «Fußball hat durch seine enorme Popularität in aller Welt eine herausragende gesellschaftliche Bedeutung und besitzt besondere Integrationskraft», heißt es bei der DKJS.

Das steht in der Tradition des FC Ente Bagdad, der 1973 von «einer Handvoll gelangweilter Gymnasiasten» als Hobby-Team gegründet wurde, wie Ronald Uhlich sagt. «Wir wollten progressiv sein.» Lange Haare habe man ohnehin gehabt. Paul Breitner und Günther Netzer waren die Vorbilder. «Und wir wollten weltoffen sein», so Uhlich.

Die Hobby-Mannschaft gibt es nach über vier Jahrzehnten immer noch - mit Spielern aus rund 20 Nationen, darunter Bolivianer, Belgier, Syrer und Franzosen. Flüchtlinge gibt es vor allem in der A-Jugend, die sich auch in der «Kreisliga Rheinhessen Mitte» misst. Die «Enten» stellen ihre Mannschaften seit wenigen Jahren in Flüchtlingsheimen vor. 1973 sollte der Name «FC Ente Bagdad» aber nicht an einen potenziellen Krisenherd erinnern, sondern Internationalität und auch Märchenhaftigkeit anklingen lassen.

Einmal machten die «Enten» sich aber schon wirklich auf nach Bagdad. Reisen in die Heimat von Mitspielern werden gepflegt. Um auch die dortige Kultur kennenzulernen. «Und um vor Ort Fußball zu spielen», sagt Uhlich.

Es gibt ein Bild, da posieren knapp 20 «Enten»-Mitglieder auf dem Weg nach Bagdad in der syrischen Wüste an einer Straße. Auf einem Verkehrsschild stehen die Namen der Städte «Deir Ez Zor» und «Palmyra». Das Bild stammt aus dem Jahr 2005. «Damals hätten wir nie gedacht, dass es da später mal so knallt» sagt Uhlich.

Etwa ein Jahrzehnt später wurden beide Städte aufgerieben im syrischen Bürgerkrieg - und auch vom IS beansprucht. Viele Menschen flüchteten. Es landeten auch welche in der «Enten-Arena».

Unseres Wissens wurde der Artikel bisher hier veröffentlicht, und an dieser Stelle wurde er zumindest erwähnt.

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